Dialog zu Agilen Methoden

Agil

Agile Methoden sind kein Allheilmittel. Sie machen Projekte auch nicht schneller oder besser. Sie machen Probleme früher sichtbar. Aber genau darin liegt die Chance, die Dinge schneller und besser zu machen. Schon der Begriff “Methode” ist irreführend. Er suggeriert, dass es Patentrezepte für agile Projektmanagement gibt, bei deren richtiger Anwendung sich der Projekterfolg fast zwangsläufig einstellt. Tatsächlich ist agil eine Geisteshaltung und Denkweise, geprägt durch Werte wie Vertrauen, Mut und Verantwortungsgefühl. Diese Geisteshaltung kommt in den vier Wertepaaren und zwölf Prinzipien des Agilen Manifests gut zum Ausdruck.

Ein Wertekanon ist eine gute Basis, aber keine hinreichende Bedingung für zielgerichtete Produktentwicklung. Darüber hinaus bedienen sich die agilen Vorgehensweisen vieler Prinzipien des Lean Thinking, das nicht zuletzt aufgrund seiner Erfolge in der japanischen Automobilindustrie (Toyota-Produktionssystem) bekannt geworden ist.

Lean Management

Das Toyota-System wird durch drei Prinzipien bestimmt, die sich auf die Mitarbeiter, die Technik, die Methode und die Zeit beziehen:

  • Muri (Überlastung): Lean bewertet einen hohen Geschäftswert höher als starre Prozesse.
  • Mura (Unregelmäßigkeit, Unausgeglichenheit): Lean sorgt für einen kontinuierlichen Flow im System.
  • Muda (Verschwendung): Alle Aktivitäten, die keinen Geschäftswert liefern und für die der Kunde nicht zu zahlen bereit ist.

Fokus auf den Geschäftswert, kontinuierlicher Fluss dank iterativ-inkrementeller Entwicklung und fester Timeboxes, Pull-Prinzip – das sind die Prinzipien, die agile Methoden aus dem Lean Thinking entlehnt haben.

Kaizen

Darüber hinaus gilt auch in den agilen Methoden das Kaizen-Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung: die Wertschöpfungskette wird schrittweise und evolutionär kleinen Änderungen unterzogen, deren Auswirkungen anschließend beobachtet und bewertet werden.

Kompliziert vs. komplex

Die agilen Methoden entfalten ihr volles Potenzial vor allem in komplexen Systemen. “Komplex? Sind wir nicht.”

Tatsächlich?

Eine für den Management-Kontext geeignete Kennzeichnung des Komplexitätsbegriffs liefert das Cynefin-Framework von Dave Snowden. Es verortet Probleme entsprechend ihrer Ursache-Wirkungs-Beziehung in einer von fünf verschiedenen Domänen:

Einfache (simple) Probleme haben eine offensichtliche, lineare Ursache-Wirkungs-Beziehung. Hier funktionieren die allgemeinen oder domänenspezifischen „Best Practices“. Stehen Ursache und Wirkung in einem linearen, nicht trivialen Zusammenhang, dann ist das Problem kompliziert (complicated), kann aber mit Hilfe einer Analyse unter Anwendung bewährter Praktiken bewältigt werden. Komplexe (complex) Probleme und Systeme sprengen die Kausalkette. Ihr Verhalten lässt sich nicht vorherbestimmen, weil zu viele Parameter das Verhalten beeinflussen und teilweise rekursiv auf sich selber angewendet werden. Sie können lediglich das Ergebnis betrachten und beurteilen, ob sie damit zufrieden sind. Auf diese Weise lassen sich emergente Praktiken aufspüren. In chaotischen (chaotic) Systemen gibt es keinerlei Zusammenhang mehr zwischen Ursache und Wirkung. Hier lassen sich neue, innovative Praktiken entdecken. Kennt man die Kausalität nicht, dann befindet man sich in der fünften Domäne (Disorder).

Für jede der ersten vier Domänen gibt es eine empfohlene Vorgehensweise. Bei komplexen Problemen kommt das Muster „Probe – Sense – Respond“ der Domäne „Complex“ zur Anwendung: Untersuchen (auf der Basis der erhobenen Daten); Erkennen von Problemen oder Verbesserungsmöglichkeiten; Reagieren durch Anpassung. Auf diese Weise lassen sich nicht nur Verbesserungen schrittweise umsetzen, sondern vor allem auch Risiken früher erkennen und besser beherrschen. Dieses Muster hat noch einen anderen Namen: Empirismus.

Empirismus

Die Theorie des Empirismus besagt, dass Wissen auf Erfahrung beruht und Entscheidungen auf der Grundlage dieses Wissens getroffen werden. Empirismus gründet auf drei Voraussetzungen:

  • Transparenz: Eine allgemeine Verfügbarkeit der relevanten Daten und Informationen muss gegeben sein, um auf deren Basis eine Entscheidung treffen zu können. Daten und Informationen werden zum Allgemeingut und verlieren infolgedessen ihre Wirkung als Machtinstrument. Entscheidungen (auch falsche) werden für alle nachvollziehbar.
  • Überprüfung: In angemessenen zeitlichen Abständen wird über-prüft, wie gut die gewählten Arbeitsweisen zur Zielerreichung beitragen.
  • Anpassung: Hat die Überprüfung ergeben, dass die gewählte Vorgehensweise noch Verbesserungspotenzial bietet, dann soll die Vorgehensweise so angepasst wer-den, dass das Ziel besser oder schneller erreicht wird.

Der Empirismus ist die theoretische Grundlage für das Prinzip des „Inspect and Adapt“, das im agilen Projektmanagement-Framework Scrum eine zentrale Rolle spielt.

Agile Vorgehensmodelle

Die bekanntesten Vertreter agiler Vorgehensmodelle mit dem höchsten Verbreitungsgrad in Organisationen weltweit sind:

  • Scrum: ein schlankes Rahmenwerk, das der effizienten und effektiven Organisation von Produktentwicklungsprojekten (ursprünglich für die Softwareentwicklung) mit hoher Anforderungsdynamik dient.
  • (Software) Kanban: eine Methode, die den Durchsatz der Ergebnisartefakte im Kontext der Entwicklung und Wartung von Software sichtbar macht und optimiert.

Mehr Informationen zu Scrum und Kanban finden Sie unter den obigen Links.